Die Vulkaninsel im Nordatlantik ist wunderschön – aber in der Hochsaison auch hoffnungslos überlaufen. Wer sich jedoch mit der Mitternachtssonne verbündet und die Nacht zum Tag macht, kann auch weiterhin die absolute Magie Islands erleben. Besonders mit einem Volvo XC60 AWD als Weggefährten.
Es war einmal ein Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen Eyjafjallajökull. Sein Ausbruch 2010 legte europaweit den Flugverkehr lahm und brachte Island weltweit in die Schlagzeilen. In Kombination mit dem Finanzcrash von 2008, der die Krone zuvor in den Keller geschickt hatte, registrierten die Seismografen fortan einen bis heute nicht versiegenden Strom an Touristen aus aller Welt. Über 2,3 Millionen sollen 2017 das «Gran Canaria am Polarkreis» besucht haben. Bei 235’000 Einwohnern wohlgemerkt.
Besonders die Naturschönheiten an der Südküste haben unter diesem Besucheransturm bereits sichtbar gelitten. So musste etwa die ohnehin sehr beliebte Schlucht mit dem unaussprechlichen Namen Fjaðrárgljúfur weitestgehend gesperrt werden, nachdem der kanadische Teenie Schwarm Justin Bieber diese in seinem Musikvideo «I’ll Show You» als Fototapete genutzt hatte. Allein wie er darin jenseits aller Trampelpfade durchs Moos kullert, treibt den ansonsten sehr ausgeglichenen Isländern noch heute die Zornesröte ins Gesicht.
Aber deshalb Island künftig von der Bucket List streichen? Mitnichten. Es braucht nur ein paar einfache Tricks, und schon kommt einem Island wieder vor wie ein Land vor unserer Zeit, in dem allein die Natur das Sagen hat.
Das Rezept für maximalen Islandgenuss
Zunächst einmal verhalte man sich komplett antizyklisch. 80 Prozent aller Touristen folgen ausgetretenen Pfaden und haben für den Abend eine Unterkunft gebucht, so dass sie spätestens um 20 Uhr von der Strasse sind. Unser Plan lautet daher wie folgt: Wir reisen und wandern nachts und schlafen am Tag. Am besten funktioniert dieser Plan Mitte Juni, wenn die Sonne nahezu ununterbrochen scheint und auf den Sonnenuntergang um ein Uhr bereits um zwei Uhr der Sonnenaufgang folgt.
Dass dieses Vorhaben einen kleinen Haken hat, merken wir erst vor Ort, doch dazu später mehr. Wer drei Wochen Zeit hat, kann zudem noch ein weiteres Ass spielen: die An- und Rundreise mit dem eigenen Auto. Ab der Nordspitze Dänemarks fährt einmal die Woche eine Autofähre mit Abstecher über die Färöer-Inseln in vier Tagen nach Seyðisfjörður an der Ostküste Islands. Beim Blick auf den Fährpreis kommt anfangs, je nach Wahl der Kabine, ein leichtes Schwindelgefühl auf. Doch setzt man anschliessend Flug- und Mietwagenpreise in Relation und bedenkt, dass man zudem noch einiges mehr an Proviant und Ausrüstung als im Flieger mitnehmen kann, kippt das Pendel schnell zugunsten einer kleinen Kreuzfahrt durch den Nordatlantik. Nur seine Seekrankheit, die sollte man dafür tunlichst zu Hause lassen.
Regel Nummer drei: Wer Island auch fern der geteerten Ringstrasse N1 erleben will – und wer will das nicht – sollte unbedingt ein robustes wie komfortables Allradfahrzeug mit erhöhter Bodenfreiheit wählen. Du, Papa …?
Der Mink Camper – die Kirsche auf dem Kuchen
Diese(n) fügen wir jedoch erst vor Ort hinzu. Erdacht haben den Mink Camper die Isländer Kolbeinn Bjornsson und Ólafur Gunnar Sverrisson.
Ihre Idee war es, den klassischen Teardrop-Trailer auf ein Minimum zu reduzieren. Herausgekommen ist ein Bett auf Rädern, zwei Meter lang und 1,40 Meter breit, dicker Latexkern, herrlich weich. Links und rechts erinnern die runden Eingänge ein bisschen an eine Waschmaschine, dazu ist das halbe Dach plexiverglast, so dass nichts den Blick auf Sterne, Polarlichter oder eben die Mittsommernachtssonne verstellt.
Aussen unter der Heckklappe versteckt sich eine komplett ausgestattete Kochzeile. Dazu kommt ein Bose-Soundsystem samt Internet-Hotspot via Mobilfunk, der den Beifahrer je nach Netzabdeckung sogar Netflix-Filme streamen lässt. Während der Fahrt, vorne, im Auto. We like!
Dass wir, um diesen abzuholen, extra von der Ostküste an die Westküste tuckern müssen, nehmen wir angesichts des enormen Komfortgewinns in Kauf. Derart perfekt ausgestattet liegen zehn aufregende Tage vor uns, in denen wir unser Konzept «Island auf links krempeln» in die Tat umsetzen.
Die Westfjorde
Da wir bereits die drei Nächte auf der Fähre dazu genutzt haben, unseren Schlafrhythmus umzustellen, fahren wir gut ausgeruht in die Nacht hinein. Unser erstes Ziel zur Vermeidung von Touristenmassen sind die Westfjorde. Dieser Zipfel profitiert davon, dass er von den meisten Reisenden auf der Ringstrasse links oder rechts – je nach Fahrtrichtung – liegen gelassen wird. Hier, das merken wir schnell, trifft man auch tagsüber keine Menschenseele. Warum, das merken wir spätestens bei unserer Fahrt nach Ísafjörður. Das Ziel beinahe schon vor Augen, müssen wir mangels Brücken drei Fjorde zur Gänze ausfahren. 30 Kilometer rein, 30 Kilometer raus. Mal drei.
Macht 180 Kilometer statt 20 Kilometer Luftlinie. Zugegeben, es gibt Regionen in Island, die sind leichter zu erreichen. Doch einmal angekommen, empfängt uns die grösste Stadt der Westfjorde mit ihrem eigenen Charme. Wobei gross bei 2500 Einwohnern natürlich relativ ist.
In den nächsten Tagen besteigen wir einen Tafelberg in Stadtnähe und machen eine Tagestour im Seekajak beim örtlichen Veranstalter Borea Adventures. Mit deren Boss Rúnar Karlsson sind wir vor einigen Jahren sogar mal sechs Tage im Seekajak durch die entlegeneren Fjorde geschippert. Dabei sahen wir zwar sechs Polarfüchse, aber keine andere Menschenseele. Falls also jemand mal wirklich seine Ruhe haben will.
Auf der Rückfahrt gen N1 bauen wir noch einen kleinen Schlenker ein: Wir wollen die ausgesetzte Nordseite der Westfjorde erkunden und dort eine der schönsten heissen Quellen Islands besuchen. Ihre Koordinaten: N65 59.931 W21 19.021. Um dorthin zu gelangen, muss man den ausgesetzten Flughafen Gjögur umkurven und dann die Augen aufsperren. Voraus ein schmaler Felsriegel, dahinter das Meer, links und rechts ein schmaler Streifen Schafweide und im Rücken der Tower des einmal in der Woche angeflogenen Miniflughafens. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass eine der drei vermeintlichen Regenpfützen auf dem Felsriegel leicht dampft. Wie um Himmels Willen kommt dort, auf drei Seiten vom Salzwasser umspült, bloss heisses Wasser her? Egal, darüber können wir auch noch die nächsten zwei Stunden im heissen Wasser philosophieren, während wir langsam «durchgekocht» werden.
Zu heiss zum Schlafen
Zurück auf der Ringstrasse, schwenken wir die Nase weiter nordwärts. Die nächsten Ziele: die Troll-Halbinsel mit der hübsch rausgeputzten und vom Heringsfang reich gewordenen Stadt Siglufjörður und der Aldeyarfoss, vielleicht Islands schönster Wasserfall.
Hier am Aldeyarfoss kommt dann auch unser toller Plan, die Tage am besten zu verschlafen, etwas ins Straucheln. Denn schon seit Beginn der Reise begleitet uns ein stabiles Schönwetterhoch mit Temperaturen bis 22 Grad. Und so krabbeln wir zwar nach dem Frühstück, das unser Abendessen ist, in die Kiste, doch drei Stunden später ist die Nacht bereits wieder zu Ende. Kein Schatten weit und breit und so nähert sich die Innentemperatur im Mink langsam der 40-Grad-Marke. Und die Seitentüren können wir leider nicht aufmachen, da heute auch der Geburtstag von Abertausenden Sumpffliegen ist. Also raus aus dem Ei, wo uns eine leichte Brise immerhin ein ungestörtes zweites Frühstück schenkt.
Überhaupt brauchen wir weit weniger Schlaf als gedacht. Das führen wir auf zwei Faktoren zurück. Zum einen sorgt die ständig scheinende Sonne für einen erhöhten Melatoninspiegel und die damit verbundene Schlaflosigkeit, zum anderen ist der Schlaf im Mink Camper derart erholsam, dass auch fünf, sechs Stunden reichen, um die Batterien aufzuladen. Aber ab und an wünschen wir uns schon schlechtes Wetter herbei, um den Mink mal so richtig abwohnen zu können.
Nächste Station ist der Mývatnsee. Der Name ist Programm: my = Mücken, vatn = Wasser. Auch hier sind es eher die kleinen Sumpffliegen, die sämtliche Aufenthalte im Freien nur schwer aushaltbar machen. Allein stoische Pragmatiker freuen sich über die vielen Proteine, sobald sie den Mund aufmachen. In der Region, in der der Vulkanismus noch allerorten in Form von Fumarolen, schmatzenden Schlammlöchern und wassergefüllten Kratern allgegenwärtig ist. Und wo Vulkanismus ist, da sind heisse Quellen nicht weit. Die wohl bekannteste ist das Mývatn Nature Bath, auch Jardbodin genannt.
Hier wurde eine natürliche Thermalquelle zu einem grossen Freibad umfunktioniert. Das tut dem Flair keinen Abbruch und im Vergleich zur berühmt-berüchtigten Touristenfalle Blaue Lagune nahe Reykjavík stimmen im Jardbodin Preis und Leistung. Ein paar Meter weiter sollte man sich auch die Grjótagjá nicht entgehen lassen – einen Drehort aus «Game of Thrones». An besagte Szene mit Jon Snow und der rothaarigen Ygritte können sich wohl die meisten Fans der Serie erinnern.
Wir dagegen finden unser Glück ein paar Kilometer weiter. 40 Grad warmes Wasser in einem zehn Meter tiefen Felsspalt. So schön und perfekt, dass man glaubt, Gott hätte am siebten Tag doch nicht geruht, sondern sein perfektes Spa erschaffen. Ein Ort, dessen exakte Lage man unmöglich publik machen kann. Wie sagte doch einst ein Freund darüber, der uns den Tipp gab: «Diesen Ort kann man nicht finden, dieser Ort findet einen.»
Bei allem Verdruss über das Vorenthalten dieser Info nur so viel, liebe Leser: Island ist, wenn man sich die Mühe macht, mal einen Schritt weiter als die Massen zu gehen, voll von solch schier unglaublichen Orten. Besser also, ihr entdeckt schnell den Entdecker in euch.
Auf an die Südküste
Nach zwei weiteren Tagen in der Region sind wir langsam bereit für die Südküste, Islands populärste Region. Vorher wollen wir aber noch eine der schönsten Tageswanderungen in Island unter die Wanderstiefelsohlen nehmen: die hufeisenförmige Ásbyrgi-Schlucht. Hier stürzte bis vor 2000 Jahren der gletschergespeiste Jökulsá á Fjöllum in die Tiefe, bevor sich der Flusslauf nach Osten verlagerte. Welche Kraft der Fluss entfalten kann, machen diese nüchternen Zahlen deutlich: Im Durchschnitt fliessen im Jökulsá 180 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Zur Hochschmelze können es auch mal 600 Kubik sein. Doch wenn es alle paar Jahrhunderte zu einem sogenannten Gletscherlauf kommt, bei dem sich unterirdische Seen bedingt durch Klimaschwankungen oder Vulkanausbrüche leeren, können bis zu 500’000 Kubik zusammenkommen.
Neben einer Ahnung von dieser Naturgewalt bietet die Schlucht aber auch das seltene Vergnügen, durch ein Mischwäldchen aus Birken und Fichten zu wandeln. Leider macht uns aber auch hier das schöne Wetter einen Strich durch die Rechnung. Denn durch den grossen Temperaturunterschied von Luft und Gletscherwasser steht über dem gesamten Flusstal eine exakt begrenzte Nebelwand. Eben noch wolkenlos und über 20 Grad warm, fahren wir kurz vorm Dettifoss in ein graues Nichts. Temperatur acht Grad, Sichtweite zehn Meter. So langsam können wir gar nicht fahren, um einem etwaigen Hindernis auf der Strasse rechtzeitig auszuweichen. Also Kehrtwende, zurück zur Sonne, zurück zum Licht.
Statt auf der N1 zu bleiben, kürzen wir auf unserem Weg gen Süden zwei Mal spektakulär ab. Einmal durch die Mondlandschaft des Möðrudalur mit seinen Weitblicken ins Hochland und dann über den Öxipass hinunter ans Meer.
Projekt Landmannalaugar
Mit unserem antizyklischen Reiseverhalten hebeln wir natürlich auch jedes Verbotsschild aus, das «Übernachten verboten» meldet. Diese Schilder sind aufgrund der Touristen- schwemme in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und unbedingt zu beachten.
Allein im Hochland, wo schlicht weit und breit kein Campingplatz ist, kann man getreu der Devise «leave nothing but footprints» verfahren. Im Geröll wohlgemerkt, auf Moos sind auch die tabu. Berauscht von der Natur und dem fantastischen Wetter, sind wir mittlerweile bis zu 18 Stunden auf den Beinen. Dann endlich tauchen erste dunkle Wolken am Horizont auf und der Wetterbericht verheisst erstmals typisch isländisches Wetter: windig, Temperaturen im einstelligen Bereich und gelegentliche Regenschauer. Endlich gemütliches Mink-Wetter!
Ob sich trotzdem noch ein Outdoor-Highlight ausgeht? Wir wollen ins Landmannalaugar, ein Gebiet nahe dem Vulkan Hekla im Südwesten. Nur eine Hochlandstrasse führt dorthin. Und die ist jetzt, Anfang Juni, noch grösstenteils gesperrt.
Im Landmannalaugar ist der Name Programm. Er bedeutet in etwa «die warmen Quellen der Leute aus der Region Landsveit». Inmitten der in vielen Erdfarben schimmernden Rhyolithberge liegt an einem heissen Bach ein wunderschöner Campingplatz, von dem aus man tolle Tageswanderungen unternehmen kann. Einziger Knackpunkt: Genau am Eingang zum Paradies wartet eine zweigeteilte, etwa 80 Zentimeter tiefe Furt. Schaffen Mink Camper und unser Volvo das? Aus Erfahrung wissen wir zumindest, wie man es macht: so lange auf einen Local warten, bis dieser die Ideallinie vorlegt. Und dann genau abwägen, ob das eigene Auto das auch schafft. Hat man es bewerkstelligt, wartet am Ende der Strasse ein von Wanderern bevölkertes Camp, die von hier aus den Laugavegur in Angriff nehmen, die beliebteste Trekkingtour Island.
52 Kilometer lang mit den Endpunkten Skógar oder Þórsmörk. Wer jedoch nicht anschliessend wieder zurück zu seinem Auto laufen will, unternimmt Tagestouren auf Brennisteinsalda und Bláhnúkur. Und jeden Abend wartet eine der schönsten heissen Quellen Islands. Ein grosses Naturbecken, das sich durch das Aufeinandertreffen einer heissen Quelle mit einem eiskalten Bach bildet. Je nachdem, wo man sich im Becken hinbewegt, kann man sich so die gewünschte Wassertemperatur von eiskalt bis unerträglich heiss «einstellen».
Mit einem weinenden Auge
Leider ist unser Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt. Nicht nur, dass die Übersichtskarte auf road.is die F-Road ins Landmannalaugar weiterhin als gesperrt meldet, die Probe aufs Exempel ergibt dann tatsächlich eine Kette quer über den Weg und ein «Durchfahrt-verboten»-Schild. Die Strasse dahinter scheint jedoch frisch gemacht und Reifenspuren links und rechts der Kette künden davon, dass das Verbot auch schon umgangen wurde. Wir jedoch bleiben brav und kehren um. Der Mink Trailer muss zurück nach Reykjavík und in zwei Tagen geht eh die Fähre zurück aufs Festland. So müssen wir wohl notgedrungen im nächsten Jahr wiederkommen – denn unser Konzept, die Nacht zum Tag zu machen, um ein möglichst menschenleeres Island zu erleben, ging definitiv auf, kann aber noch verfeinert werden.
Eine filmische Zusammenfassung der Reise findet ihr hier, viel Spass beim Kurzurlaub!