Nur wenige Jahre nach der Grundsteinlegung feierte der Volvo S60 sein Debüt im neuen Werk von Volvo Cars in Charleston. Im neuen US-Werk werden aber nicht nur hervorragende Fahrzeuge gebaut, es wurden auch tausende lokale Arbeitsplätze geschaffen und so die Wirtschaft angekurbelt. Wir sind nach Charleston gereist, um mit den Leuten darüber zu sprechen, warum das Werk so gut zu Volvo passt.
Auf den ersten Blick wirkt es wie ein typisches Volvo Werk: Menschen in leuchtend orangen und blauen Jacken laufen hin und her – voller Energie und Tatendrang. In den höhlenartigen Hallen werden Roboter programmiert, Bauteile montiert, Rahmen geschweisst und Tests durchgeführt. Trotzdem merkt man, dass das Werk weit weg ist von der Firmenzentrale in Göteborg. Statt den hohen Fichten und Birken Schwedens ist es von Palmen umsäumt. In der Luft kreisen Rotschwanzbussarde, keine Möwen. Und auch die Strassenschilder mit Elchen fehlen – stattdessen Warnschilder gegen das Füttern der Alligatoren!
ZUR RICHTIGEN ZEIT AM RICHTIGEN ORT
Das brandneue Volvo Werk wurde im Sommer 2018 eingeweiht – nach jahrzehntelanger Planung und einer dreijährigen Bau- und Einrichtungsphase. Es liegt etwa 45 Minuten vor Charleston im Herzen South Carolinas, im Südosten der USA. Das Werk bekam viel Lob: Für Volvo Cars war es die perfekte Expansion im richtigen Moment. Auch für die Bevölkerung vor Ort, wo Tausende neue Arbeitsplätze im Werk sowie Tausende weitere im ausgedehnten Zulieferernetz geschaffen wurden.
Das Werk Charleston ist beeindruckend schnell gewachsen. Der erste Spatenstich erfolgte 2015. Wie es in den USA Tradition ist, hängt der Spaten nun auf Hochglanz poliert an der Wand eines Sitzungszimmers. Der Standort ist insgesamt auf eine Gesamtfläche von über 200 000 m2 gewachsen – bis ans Ende einer neuen Strasse namens Volvo Car Drive.
Laut Katarina Fjording – Vice President of Manufacturing and Logistics bei Volvo Cars – spielt Volvo seit Jahrzehnten mit der Idee ein Werk in den USA aufzubauen. «Mehr als 30 Jahre lang haben wir Produktionsstandorte in den USA evaluiert», sagt sie. «Das war einmal unser grösster Markt – und es ist der zweitgrösste Fahrzeugmarkt weltweit.» Ein weiterer Faktor: In den USA muss nicht von Null begonnen werden, es ist – einfach gesagt – ein Land von Autoliebhabern. Auch die Marke ist gut etabliert. Ausserdem sind die USA ja lange bekannt für ihre leistungsfähige Automobilindustrie.
Volvo Cars ist seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem amerikanischen Markt unterwegs. 2017 wurden in den USA über 81’500 Volvos verkauft. Und die Zahl steigt jährlich. Es war also der richtige Moment, um auf diesem loyalen, aufstrebenden Markt die Produktion auszuweiten. Wie Katarina sagt: «Unsere Strategie ist, zu produzieren, wo wir verkaufen, und zu be- schaffen, wo wir produzieren. Sämtliche Fahrzeuge für den US-Markt zu importieren, war auf Dauer nicht optimal. Mit dem Standort hier vermitteln wir sowohl unseren Vertretern als auch unsere Kunden, dass wir vor Ort sind. Und es ernst meinen und so schnell hier nicht weggehen.»
«In der letzten Zeit haben wir viel in Asien investiert, vor allem in China. Das könnte den Eindruck erwecken, dass wir es als Hauptmarkt anstreben. Der Bau dieses Werks ist der sichtbare Beweis dafür, dass wir uns um die Leute hier kümmern und für sie da sind.»
NEUES WERK, NEUES FAHRZEUG
Noch während in Charleston die letzten Pinselstriche gemacht wurden, rollten Anfang 2018 die ersten Testmodelle des Volvo S60 vom Band. Auf das produzierte Fahrzeug können alle Beteiligten wahrhaftig stolz sein. Die brandneue Version der beliebten Limousine legt die Latte hoch und setzt Qualitätsstandards für alles, was nach ihm kommt. Edel, dynamisch und das erste neue Modell ohne Dieselmotor: ganz entsprechend der Elektrifizierungsstrategie von Volvo.
Katarina weiss, dass alle im Werk von Charleston Vollgas geben müssen: «Es ist sehr wichtig, dass sich dieses Werk beweist. Mitarbeiter, Betrieb, Prozesse – einfach alles. Im Moment sind wir sozusagen der ‹kleine Bruder› – der Neue in der Klasse.» Aber dabei wird es nicht bleiben: «Unser zweites Modell ist schon angekündigt, und das kann gar nicht früh genug kommen. Alle sollen sehen, dass wir hier zügig arbeiten.»
EIN ORT, UM WURZELN ZU SCHLAGEN
Alle Werke von Volvo Cars sind sorgfältig geplant. Sie wurden so sicher und effizient wie möglich gebaut. Gerade an neuen Standorten wie Charleston zeigt sich das. Natürlich hat es Vorteile, in der Heimat fest verwurzelt zu sein – wie in Göteborg, wo die Geschichte des Unternehmens eng mit der Stadtgeschichte verbunden ist und die Tradition wie der gute Ruf viele Türen öffnet – doch ein Neubeginn in Nordamerika bringt auch Vorteile.
«Sowohl in Torslanda als auch in Gent wird zwar nach wie vor massiv und kontinuierlich investiert, aber es bedeutet immer viel ‹Flickarbeit›, um Neues in das Bestehende einzufügen. In Charleston konnten wir von Grund auf neugestalten», erklärt Katarina. Das Ergebnis: Alles wirkt viel schlanker, bietet mehr Raum um die Arbeitsplätze – das sieht selbst ein Laie sofort beim Rundgang. «Wir lernen von unseren Betriebsstätten in Asien und in Europa. Wir haben hier zum Beispiel mehr Automatisierung als etwa in Chengdu.» Katarina führt weiter aus: «In der Lackiererei ist eine ganz besondere, in keinem anderen Werk vorhandene Anlage installiert, die für Best-in-Class-Luftemissionsschutz sorgt. Ab dem ersten Tag haben wir hier grossen Wert auf Umweltschutz gelegt. Die strengsten Normen dazu sind die von LEED [Anmerkung: LEED steht für Leadership in Energy and Environmental Design und ist eine globale Nachhaltigkeitszertifizierung für Gebäude]. Das ganze Werk ist LEED-zertifiziert. Darauf sind wir sehr stolz, und es entspricht auch unserem Kernwert zum Umweltschutz.»
WEIL ES UM MENSCHEN GEHT
Nur eine zufriedene Belegschaft erschafft ein gutes Auto. So kam der Arbeitsstil von Volvo in South Carolina sehr gut an. «In einem neuen Werk, weit weg von der Zentrale, lässt sich die Unternehmenskultur fast reiner umsetzen als am Stammsitz», sagt Katarina. «Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es in den USA ganz schnell ungemütlich wird, wenn man in einer Firma seine Meinung sagt. Das ist in unserer Unternehmenskultur aber sehr wichtig. So lassen sich Probleme rascher ermitteln und Lösungen dafür finden.
«Die Stimmung ist ausgesprochen freundlich, kooperativ und strahlt zurückhaltenden Stolz und Leistungsbereitschaft aus.»
Ausserdem haben die Leute das Gefühl, dass ihre Meinung zählt und sie etwas beitragen können. Wenn ich durch die Hallen gehe, sprechen mich oft Mitarbeitende an: sowohl mit Lob, aber auch mit konstruktiver Kritik.
Wir wollen ausdrücklich wissen, wenn jemand eine Gefahrenquelle erkennt, Werkzeug fehlt oder sonst etwas benötigt wird, das für gute Arbeit wichtig ist.» Beim Rundgang mit Katarina oder anderen Führungskräften werden regelmässig Begrüssungen ausgetauscht und Worte gewechselt. Die Stimmung ist ausgesprochen freundlich, kooperativ und strahlt zurückhaltenden Stolz und Leistungsbereitschaft aus. So ist immer Zeit für ein freundliches Wort. Es herrscht ein Gefühl von Gemeinschaft, fast schon Familiarität. Besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, dass hier rund 1100 Menschen arbeiten. «Wenn wir fragen, warum jemand bei Volvo arbeiten möchte oder sich hier wohl fühlt, wird meist die Unternehmenskultur genannt», meint Katarina. «Es ist wie eine grosse Familie. Wir gehen anders um mit unseren Mitarbeitenden als andere Unternehmen. Viele sagen, es sei der erste Arbeitsplatz, wo man sie als etwas Wertvolles betrachtet, und nicht als Belastung.»
GEMEINSCHAFTSGEFÜHL
In einem unsicheren Wirtschaftsklima werden neue Chancen auf Arbeit, Investitionen und Infrastruktur als grosse Motivation wahrgenommen. Wie in Charleston: Alle, mit denen wir uns unterhielten, sind froh, in einem Unternehmen zu arbeiten, das etwas herstellt, auf das sie stolz sein können, das positive Werte verkörpert und sie ernst nimmt. Den Gründern des Volvo Werks in South Carolina ist auch klar, dass man sich nicht einfach niederlassen und einer historisch gewachsenen Gemeinde im Südosten der USA seine Werte aufdrücken kann – es ist ein ständiges Geben und Nehmen, Lernen und Lehren. Wie Katarina sagt: «Es heisst immer, die USA sind ein junges Land. Aber in Charleston gibt es vieles, das ebenso alt ist wie in Göteborg: Traditionen, die respektiert sein wollen! Es geht um die richtige Balance: wie ein sanfter Fussabdruck in der Kulturgeschichte, wo man sich geschäftlich niederlässt. Hier wird auf Dinge geachtet, die in Schweden nicht auffallen würden. Wir müssen Augen und Ohren offen halten und erkennen, was den Leuten hier im Werk, aber auch in den Gemeinden ringsum, wichtig ist. «Hier ist viel möglich, wir sind willkommen und werden sehr unterstützt. Aber wir geben auch etwas zurück, und das ist das Wichtigste.»
Verwandte Themen