Sowohl mit seinem Institut «Roos Trends & Futures», wie auch in seiner Rolle als Vorstandsmitglied von «swissfuture» beschäftigt sich Georges T. Roos mit Zukunftsforschung. Für seine Kunden erarbeitet er Frühwarnsysteme, mit denen neue Trends und Entwicklungen schnell erkannt werden können. Ross’ kritischer Blick auf aktuelle Megatrends und deren Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft wird von Medien ebenso geschätzt, wie von Besuchern seiner Keynotes.
Herr Roos, was ist Ihre aktuelle Haupttätigkeit, respektive das wichtigste Projekt, das Sie im Moment verfolgen?
Ich beschäftige mich im Moment mit einem grossen Projekt namens imagine2050. Das Projekt beschäftigt sich mit der Frage wie die Schweiz in Zukunft aussieht, damit wir uns eine Vorstellung darüber machen können, was auf uns zukommt. Und damit wir als Gesellschaft – mit Wirtschaft und Politik – besser miteinander aushandeln können, was für uns eine gute, wünschenswerte Zukunft ist.
Sie sagen von sich, Sie sind ein Possibilist. Was genau meinen Sie damit?
Von mir werden Sie nicht hören, dass alles immer schlechter wird. Es gibt schon Dinge, die sehr kritisch sind, insgesamt muss man aber sagen, dass wir eigentlich wenig Grund haben, anzunehmen oder zu sagen, dass von jetzt an alles plötzlich viel schlechter wird. Den Begriff Possibilist habe ich von Hans Rosling (schwedischer Mediziner und Statistiker, Anm. der Redaktion) übernommen.
Die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt werden immer fliessender – was bedeutet das aus Ihrer Sicht für den Menschen?
Es gibt verschiedene Dimensionen, die eine Rolle spielen. Das eine ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine oder eben analog und digital. Die wird immer intuitiver bis sie gänzlich im Hintergrundrauschen verschwindet. In Zukunft werden wir mit Maschinen sprechen können. Mit der Spracherkennung wird die Grenze noch sehr viel fliessender und das Digitale ist kaum mehr sichtbar. Das ist eine Entwicklung, die ich in dem Zusammenhang sehe.
Das andere ist natürlich, dass wir bereits jetzt mit mobiler Kommunikation, mobilem Internet eigentlich jederzeit und überall Zugang haben zu Informationen und zu Konnektivität, also zur Vernetzung mit anderen.
Glauben Sie, dass sich mit dem permanent möglichen Zugriff auf Informationen unser Verhalten verändern wird?
Das hat ganz bestimmt einen Einfluss. Heute macht es wenig Sinn, reine Wissensthemen auswendig zu wissen, wenn diese innerhalb einer Sekunde nachgeschlagen werden können.
Technik ist im Prinzip da, um uns Menschen zu helfen, uns zurechtzufinden, uns gut anzupassen an unsere Umgebung. Technik ist unser evolutionärer Vorteil. Durch die Informations- und Kommunikationstechnologie verliert Faktenwissen an Bedeutung. Stattdessen wird wichtig, vernetzt denken zu können. In Zusammenhängen denken zu können, kreativ zu sein und Verantwortung dafür zu übernehmen, was wir mit diesem Wissen anstellen – das gewinnt an Bedeutung.
Glauben Sie, dass sich die Technologie noch immer dem Menschen anpasst, oder verhält es sich mittlerweile umgekehrt?
Beides trifft zu. Ich verstehe Technologie als Instrument, als evolutionärer Vorteil, uns anzupassen und zurechtzufinden. In dem Sinn treiben wir die Digitalisierung. .
Es gibt aber auch die andere Seite. Ich glaube, Technologie ist mittlerweile vermehrt so geworden, dass wir uns ihr anpassen müssen.
Es ist noch nicht so, dass wir machen können, was wir wollen, sondern wir müssen genau die Regeln befolgen, die wir von der Technologie vorgeschrieben bekommen, um dann das erreichen zu können, was wir möchten. Teilweise gibt uns die Technologie sogar das Denkschema vor, was uns in der Kreativität einschränkt.
Führt die Digitalisierung die Menschen näher zusammen oder entfremdet sie sie?
Die Digitalisierung schafft Chancen, dass die Menschen näher zusammen kommen, dass wir uns sehr viel besser, unabhängig von Ort und Zeit, in Gemeinschaften verbinden können. Die Digitalisierung hilft gerade auch Menschen, die Angst vor sozialen Kontakten haben, trotzdem den Kontakt aufrechterhalten können.
Auf der anderen Seite findet auch eine Enthemmung statt, die meiner Meinung nach nicht dazu beiträgt, dass wir als Gesellschaft einen besseren Zusammenhalt haben. Das ist die Schattenseite. Mit den digitalen Medien kann man aus der Halb-Anonymität heraus ein Verhalten an den Tag legen, das man im direkten sozialen Kontakt nie zeigen würde.
Wir haben vorher über Verantwortung in Zusammenhang mit Wissen geredet. Welche Verantwortung tragen Organisationen, die die Digitalisierung mit prägen und vorantreiben?
Eine grosse. Wir haben ein sehr mächtiges Instrument in der Hand. Das Instrument selber ist neutral, man kann es zum Nutzen der Menschheit einsetzen oder aber zum Schaden. Um den Schaden abzuwenden oder klein zu halten, sind Regulierungen nötig. Dafür sind neben dem Gesetzgeber auch die Unternehmen der IT-Branche stark gefordert, mitzuwirken und ihren Teil dazu beizutragen, dass die Informationstechnologie nicht zu einem Missbrauchsinstrument wird.
Herr Roos, Sie beschäftigen sich von Berufs wegen mit Zukunftsthemen. In welchem Lebensbereich erwarten Sie in den kommenden Jahren den grössten technologischen Fortschritt?
Ich identifiziere drei Bereiche in denen in den nächsten 20 Jahren disruptive Veränderungen anstehen.
Der erste Bereich ist die nächste Stufe der Digitalisierung. Smartness. Die Intelligenz in Dingen. Das sogenannte Internet der Dinge, also die Vernetzung von Milliarden realer Gegenstände, die dank Sensoren umweltsensibel sind, das heisst, sie wissen, was um sie und mit ihnen passiert. Die Informationen können sie abgleichen und sammeln. Viele dieser Gegenstände handeln dann autonom in der realen Welt.
Der zweite Bereich ist der Umgang mit Big Data, die wir nicht zuletzt dank all der Sensoren in diesen Gegenständen haben. Dort sehe ich künstliche Intelligenz als einen extremen Game Changer. Lernfähige Maschinen, sprachfähige Maschinen, die selber dazulernen, die selber in der Lage sind, Situationen einzuschätzen und die autonomes Handeln von Gegenständen ermöglichen.
Die dritte grosse Veränderung ist demografisch. Nicht nur für die Schweiz. Die Schweiz in 20 Jahren wird zehn Millionen Einwohner haben, ein Viertel davon über 65. Weltweit haben wir jetzt gemäss UNO 8,4 Milliarden Menschen. Die UNO glaubt, dass bis Mitte dieses Jahrhunderts 9 und bis Ende Jahrhundert gegen 10, 11 Milliarden Menschen auf der Welt leben werden. Weltweit ist die Geburtenrate in den letzten 20 Jahren von etwas über fünf Kinder pro Frau auf 2,5 Kinder pro Frau gesunken. Trotzdem wächst die Weltbevölkerung, weil weltweit die Lebenserwartung enorm angestiegen ist. Der Anteil der jungen Bevölkerung wird also weltweit weiter sinken.
Dieses dritte, disruptive Szenario betrifft die Gesundheit. Was man in Zukunft unter Gesundheit versteht und was Medizin in 20 Jahren wird leisten können, wird sich deutlich von heute unterscheiden. Die Möglichkeit des genetischen Editierens aber auch die Analyse riesiger Datenmengen wird alles verändern. Auch die immer raffiniertere Verschmelzung von Mensch und Technologie, also von Biologie und Technologie wird eine grosse Rolle spielen, dass wir sozusagen zu Cyborgs werden können, also zu Mensch-Maschine-Mischwesen.
In diesem Zusammenhang haben Sie in einer Keynote auch davon gesprochen, wie sich der Verkehr verändern wird.
Ich glaube, durch die autonomen Fahrzeuge wird sich langfristig die Grenze zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr verwischen. Stellen Sie sich vor, autonome Fahrzeuge sind unterwegs. Wieso sollen wir noch ein eigenes Fahrzeug haben wollen? Man bestellt sich mittels App ein Fahrzeug. Das ist zehn Minuten später vor der Haustür, fährt mich wohin ich will, während ich lese, arbeite oder schlafe. Das eigene Fahrzeug, das schon heute zu 95 Prozent auf dem Parkplatz steht, wird also immer obsoleter. Was wir brauchen sind Mobilitätsdienstleistung in allen Bereichen. Die Folgen wären sehr spannend, weil das bedeuten würde, dass wir beispielsweise sehr viel weniger Parkfläche brauchen. Wir würden viel Fläche dazu gewinnen, beispielsweise für soziales Leben. Die Nutzung des öffentlichen Raumes wird sich verändern.
Glauben Sie, das wird eher auf der Strasse stattfinden oder können Sie sich auch vorstellen, dass es da Verlagerungen gibt in die Luft?
Auch das kann ich mir vorstellen. Ich habe kürzlich ein sehr fortgeschrittenes Flugobjekt gesehen, das elektrisch funktioniert, senkrecht starten kann wie ein Helikopter und dann eine Reisegeschwindigkeit von 300 km/h erreicht. Sowas in Zukunft als Lufttaxi zu haben erscheint mir nicht abwegig.
In welchem Lebensbereich schätzen Sie persönlich Digitalisierung am meisten?
Ich finde es natürlich fantastisch, dass ich mit einem mobilen Gerät überall die nötigen Informationen haben kann, die ich brauche. Das ist fast nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Bei meinen Vorträgen frage ich, wer sich den Luxus noch leistet, kein Smartphone zu haben. In der Regel ist das höchstens ein Prozent. Das ist verrückt, weil es Smartphones erst seit ungefähr zehn Jahren gibt. In so kurzer Zeit hat sich das so durchgesetzt, dass wir beim Fehlen sogar Phantomschmerzen empfinden.
Und wann und wo wünschen Sie sich gerne eine analoge Welt zurück?
Ich bin zum Beispiel leidenschaftlicher Wanderer. Das ist dann sehr analog. Ich bin zudem ein geselliger Typ, der gern mal ein Glas Bier mit Freunden trinkt. Dort wünscht man sich dann eigentlich auch, dass man das Smartphone einfach mal vergessen und die Zeit geniessen kann.